Flüchtlings-Integration lastet auf Kommunen

Herausforderung als Chance nutzen

Als die große Flüchtlingswelle aus dem arabischen Raum im Spätsommer 2015 Deutschland erreichte, herrschte fast überall eine überwältigende und vorbildliche Willkommenskultur. Es kamen Erinnerungen an die Fußball-WM 2006 in Deutschland auf. Damals hieß es „Die Welt zu Gast bei Freunden“ und auch 2015 schien sich dies zu wiederholen. Die Flüchtlinge, die vor Gewalt, Tod und Krieg teilweise über Wochen hinweg flohen, ließen in ihrer Heimat alles hinter sich. Sie hofften auf ein friedliches und besseres Leben in Deutschland, was ihnen von den Schleppern versprochen wurde. Mit der großen und überraschenden Masse konnte niemand rechnen. Mit dieser Mammutaufgabe wurden manche an die Grenzen der Überforderung gebracht und darüber hinaus. Angefangen bei den großen deutschen Hilfsorganisationen, die von den Bundesländern den Auftrag hatten schnell eine hohe Zahl an großen Notunterkünften zu schaffen, um den Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf, Mahlzeiten und vor allem Sicherheit zu bieten – das Nötigste, was in so kurzer Zeit möglich war.

Aber auch die verschiedenen Verwaltungsebenen und die Polizei wurden überrascht – kein Wunder, es gab wenig bis nahezu keine Erfahrungswerte, auf die man hätte zurückgreifen können und der Verwaltungsalltag mit den differenzierten Aufgaben musste ja parallel weiterlaufen. Die Fluchtwellen nach dem Krieg oder in den 90er Jahren aus dem Balkan waren in Umfang und Art nicht vergleichbar. Nicht zuletzt die freiwilligen Bürger sowie Ehrenamtlichen von Feuerwehr, Katastrophenschutz und sonstigen Organisationen helfen in diesen Zeiten besonders – sie arbeiteten häufig bis zur Erschöpfung und darüber hinaus. Alle genannten Protagonisten konnten die Abläufe, Herausforderungen und Lösungen häufig nicht in ausreichendem Maße oder erst zu spät umsetzen.

Notunterkünfte konnten ihre Aufgabe zunächst erfüllen

Auch die Kommunen, aus denen bis heute viele Freiwillige aus der gesamten Gesellschaft kommen, mussten mit dieser neuen Situation umzugehen lernen. Sie waren stets in die ersten Planungsschritte mit eingebunden, mussten sie doch die erste Last der Aufnahme und Integration leisten. In einigen, gerade ländlichen Kommunen, kam auf drei Bürger bis zu ein Flüchtling, was soziale Brennpunkte befürchten ließ. Engagierte Bürgermeister, moderierte Bürgerversammlungen, eine sonstige rechtzeitige Einbeziehung der Bürger und eine positive Medienberichterstattung verhinderten meist schlimmere Vorfälle in den Kommunen mit Notunterkünften. Trotzdem ist es leider bundesweit zu Zwischenfällen gekommen, bei denen Unterkünfte angegriffen oder beschädigt wurden. Glücklicherweise ist kein Bewohner der Einrichtungen ernsthaft zu Schaden gekommen. Die Sachschäden und Verzögerungen taten jedoch ihr Übriges und erschwerten so einen reibungslosen Ablauf der Bemühungen. Der Winter stand vor der Tür, sodass für die vielen Flüchtlinge schnell ausreichend warme Unterkünfte geschaffen werden mussten. Dadurch mussten auch viele Turnhallen für Schüler und Sportvereine gesperrt werden, da schnell neue Kapazitäten gefunden werden mussten. Ähnliches gilt für stillgelegte Großmärkte oder Industrie-/ Logistikhallen. Optimal sind diese Notunterkünfte nicht, da viele Menschen verschiedener Religionen und Staaten auf engstem Raum und ohne große Intimsphäre leben mussten. Konflikte unter den Bewohnern waren vorprogrammiert und bestätigten sich auch regelmäßig. Von häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen gegen Frauen, über andere Gewaltdelikte bis hin zu Diebstählen gab es Vorfälle in den Unterkünften, die private Sicherheitsleute und ebenso die Polizei als Ordnungsgewalt forderten.

Der Stimmungswechsel nach der Silvesternacht 

Nach gut einem halben Jahr schlug die Stimmung, nicht zuletzt durch die Vorfälle in der Silvesternacht, um. In verschiedenen Städten Deutschlands wurden Frauen durch Männer mit Migrationshintergrund sexuell belästigt. Schnell gerieten Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge unter Generalverdacht, den einzelne Täter zu verantworten hatten. Ein Großteil der Menschen mit Migrationshintergrund verhält sich nämlich trotz aller kulturellen Unterschiede nach Recht und Ordnung und weiß um die symbolische Wirkung dieser Verfehlungen, die sie selbst und ihre Religion richtig ausgelegt ächten. Aber nicht allein diese Tatsache trug dazu bei, denn dieser Stimmungswechsel in der Bevölkerung war absehbar. Schließlich konnte nicht unmittelbar damit gerechnet werden, dass diese große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland und Europa kommt. Europa zeigt bis heute wenig Solidarität und lässt Deutschland und letztendlich die Kommunen auf ihren Problemen sitzen. Denn die wirkliche Integration beginnt erst jetzt und wird die Etats von Bund, Ländern und nicht zuletzt Kommunen belasten sowie sie vor gesellschaftliche Herausforderungen stellen. 20 Milliarden Euro, so schätzt das ifo-Institut konservativ, hat diese Aufgabe dem Steuerzahler 2015 gekostet. Die wirklichen Folgekosten für Sozialsysteme und weitere externe Kosten sind darin noch nicht zur Gänze einberechnet. Ein Betrag, den die klammen kommunalen Haushalte, trotz Überschüssen im Jahr 2015, nicht ansatzweise leisten können. Ganz davon abgesehen wäre dies eine hoheitliche Aufgabe des Bundes oder der Länder, die zumindest nun in der finanziellen Pflicht stehen.

Auf Kommunen lastet die Hauptverantwortung der Integration

Auf den Kommunen lastet in der Flüchtlingspolitik enorm viel Verantwortung, da sie nach der Verteilung der Flüchtlinge dafür sorgen müssen, dass Wohnungen gebaut, Schulen und Kitas erweitert sowie Lehrer und Erzieher eingestellt werden. Aber auch die möglichen sozialen Konflikte werden in den Städten und Gemeinden ausgetragen, da Flüchtlinge ggf. mit anderen sozial schwachen Teilen der Gesellschaft konkurrieren. Kommunen sind der Flaschenhals in der deutschen Flüchtlingspolitik. Die gesellschaftlichen Aufgaben, die durch die neue Situation aufgekommen ist, können die Kommunen nur leisten, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen von den Ländern und dem Bund bereitgestellt werden. Auch die freiwilligen Bürger aus den Kommunen werden weiterhin gebraucht, ob im Sportverein, als Deutschlehrer oder allgemeiner Integrationshelfer zur Bewältigung kultureller Unterschiede zwischen Flüchtlingen und der Bevölkerung. Ebenso wird die Bewältigung von Behördengängen zu einer Aufgabe. Nur durch die vielen Ehrenamtlichen kann die Integration der bleibenden Flüchtlinge erfolgreich gelingen. Hierfür müssen die Rahmenbedingungen strukturell, personell und finanziell geschaffen werden, anderenfalls wird die Integration zu einem Risiko und die realistischen Chancen werden links liegen gelassen.

Externe Moderation und Begleitung können Erfolg der Integration fördern

Um die Freiwilligen optimal zu koordinieren, ihre Bedenken und Fragen ernst zu nehmen, aber auch ihr enormes lokales Fachwissen nutzen zu können, kann sich häufig externe Unterstützung in der Kommunikation anbieten. Wie beim demographischen Wandel können die Flüchtlinge nämlich auch als eine Chance betrachtet werden. Externe Partner haben den Vorteil, als unabhängige und glaubwürdige Unterstützung von außen zu moderieren und bei der Lösung von Hindernissen mitzuwirken. Die Ergebnisse und Lösungen werden von den Bürgern häufig besser getragen und gelebt, da sie diese selbst mit erarbeitet haben oder zumindest den Weg dorthin bereitet haben. Alles kann und darf in diesen Bürgerdialogen gefragt oder geäußert werden – die Menschen und ihre Bedenken werden ernst genommen. Damit könnte auch den rechten Parteien, wie der AfD, der Nährboden entzogen werden, die fahrlässig mit den Ängsten der Bürger spielen und gegen die Medien als Lügenpresse angehen. Dies hat bei den ersten Landtagswahlen nach der Flüchtlingswelle aus dem Stand zu zweistelligen Ergebnissen geführt. Dadurch wird unser Parteiensystem auf die Probe gestellt und neue Konstellationen werden für Bündnisse nötig werden.

Vertrauen in Politik und Verwaltung wird durch Bürgerbeteiligung gestärkt

Das Vertrauen in die lokale, regionale und bundesweite Politik sowie den Medien hat deshalb gelitten, denn es gab für Bürger wenige Möglichkeiten der offenen Aussprache. Durch die Beteiligung der Bürger kann die Akzeptanz für Flüchtlinge und deren Integration deutlich erhöht werden. Zuhören und besser machen kann daher nur das Motto der etablierten Parteien auf allen Ebenen, auch der Kommunalpolitik, sein. Die Politik allgemein, vertretene Ratsfraktionen und nicht zuletzt der Bürgermeister selbst können in diesem offenen Prozess nur gewinnen. So können die Flüchtlinge auch als Chance gesehen werden, wenn es um den demographischen Wandel und den Mangel an Fachkräften in Unternehmen geht. Um diese Chancen nutzen zu können, müssen alle Kräfte gebündelt werden, um auch wenig gebildete Flüchtlinge für das Arbeitsleben und die Gesellschaft fit zu machen. Eine Initiative, die auch durch BürgerDIALOG unterstützt wird, ist „Niedersachsen packt an“. Es ist ein offenes und gesellschaftliches Bündnis, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Integration durch Bildung, Sprache und Zusammenhalt gelingen zu lassen. Der Sprache kommt dabei die größte Aufgabe zu, denn ohne ausreichende Sprachkenntnisse kann Integration gesellschaftlich und ökonomisch nicht gelingen. Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg.

BürgerDIALOG begleitet Kommunen beim demographischen Wandel und in der Flüchtlingspolitik

Der demographische Wandel birgt gerade in ländlichen Kommunen, genau wie die Bewältigung der Flüchtlingskrise, Risiken für die Stabilität der Städte und Gemeinden in Niedersachsen. Es bieten sich aber auch Chancen, die genutzt werden müssen. Dazu bedarf es jedoch einer strukturellen Anpassung, was die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft angehen. Hierzu gehören auch große Infrastrukturprojekte, wie z.B. die Energiewende.
Buergerdialog.org unterstützt und begleitet Kommunen kommunikativ durch moderierte Bürgerbeteiligung. Darin werden engagierte Menschen mit verschiedenen Standpunkten miteinander ins Gespräch gebracht. Es werden Fakten gesammelt, ohne dass eine Wertung vorgenommen wird. Dabei sollen im kommunikativen Prozess Diskussionen angestoßen und Chancen zur Verwirklichung der Lösung ausgelotet werden. Als Hilfsmittel setzt BürgerDIALOG moderne Moderationstechniken ein, die eine aktive Beteiligung bewirken und den Lösungsweg der Zukunft länger begleitet. Ein Beispiel ist das World Café, in dem kleine Gruppen wechselnd an verschiedenen Themen die entsprechenden Lösungen durch Meinungsaustausch erarbeiten. Je nach Situation werden aber auch andere Moderationstechniken eingesetzt, um Bürgerbeteiligung wirklich zu leben. Das können u.a. moderierte Arbeitsgruppen und Podiumsdiskussionen sein.

Ablauf eines Bürgerdialogs und Leistungen

Ein typischer Ablauf beginnt mit einer Startveranstaltung und daran anschließend je nach Bedarf Arbeitsgruppen aus engagierten Bürgern, Interessengruppen, Ratsmitgliedern und der Verwaltung als Zuhörer. Zum Abschluss, auf Wunsch auch zwischendurch, gibt es eine Veranstaltung, in der die Arbeitsergebnisse der Beteiligten dargestellt werden und ein Handbuch mit Lösungswegen mitgeliefert wird. Eine Umsetzung hängt nun von den Entscheidungen im Rat ab. Zu den Leistungen von BürgerDIALOG zählen die lokale und überregionale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die Organisation und Durchführung sowie fachlichen Moderationen der Veranstaltungen und Foren. Die Leistungen können nach einem individuellen Baukastensystem in Anspruch genommen werden. Das Team von BürgerDIALOG besteht aus erfahrenen und frischen Fachleuten verschiedener Disziplinen, die bereits zahlreiche Moderationen und Prozesse in Kommunen, Organisationen und Unternehmen begleitet haben. Die Kommune kann dabei nur gewinnen – zeigt sie, der Bürgermeister und der Rat doch, dass sie die Bürger ernst nehmen und sie einbeziehen. Da die Kommune vorab durch Themenstellungen und einem Entwicklungsziel beteiligt ist, geht sie kein Risiko ein. Denn die Fachleute aus Bürgern, Verwaltung und Rat haben das größte lokale Wissen, was durch Motivation und Moderation nur entlockt werden muss. Die Ergebnisse aus gemeinsamer Arbeit schaffen Vertrauen, mindern Ängste und schließen die Reihen in der Kommune. Die Gegenwart und Zukunft können kommen…

Der Autor, Edzard Schönrock, ist Geschäftsführender Gesellschafter von BürgerDIALOG und
Inhaber von prÅGNANT NACHHALTIGKEIT.KOMMUNIKATION.SCHÖNROCK. Der Dipl. Sozialwissenschaftler sowie PR-Fachmann hat eine große Notunterkunft für Flüchtlinge in Niedersachsen aufgebaut und geleitet.